Schritt für Schritt.

Hallo ihr Lieben,

schön dass ihr da seid und euch die Zeit nehmt, meine Andacht zu lesen. Und da bin ich auch schon gleich beim Thema: Zeit.

Es ist vielleicht einen oder zwei Monate her, dass ich mal wieder „Momo“ von Michael Ende gelesen habe. Eine Person, die es mir in der Geschichte sehr angetan hat, ist Beppo Straßenkehrer. Er lässt sich Zeit, bei dem, was er macht, ist zufrieden mit dem, was er hat und hat Freude daran. Wer so lebt, muss ja glücklich sein. Und seine Lebensphilosophie klingt so einfach. Im Buch hat er sie Momo einmal folgendermaßen erklärt:

Der alte Straßenkehrer Beppo verrät seiner Freundin Momo sein Geheimnis. Es ist so: Manchmal hat man eine lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein. Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.


Michael Ende – Momo

Die Situation, die Beppo da beschreibt, kenne ich aus aktuellem Anlass nur zu gut. Vermutlich kennt ihr auch das Gefühl, wenn man wegfährt und Personen, die man gernhat, längere Zeit nicht sehen kann. Naja, momentan muss man noch nicht einmal wegfahren, um das Gefühl zu kennen. Durch die noch geltenden Ausgangsbeschränkungen vermissen wohl so gut wie alle gerade Kontakt zu Freunden, Familie etc.. So bin ich also momentan bei meinen Eltern zuhause, vermisse meinen Freund und merke, dass zwei Wochen echt lang sein können. Am Anfang war der Gedanke groß: Oha, zwei Wochen sind ja so lang! Aber dann habe ich versucht, die Tage bei meiner Familie zu genießen und mich darauf zu fokussieren, wie das am Besten klappen könnte. Genauso, wie Beppo es Momo beschreibt. Das Wetter war schön, also waren wir viel im Garten am Arbeiten, ich bin spazieren gegangen (herrlich, so durch die Natur zu laufen, kaum jemandem zu begegnen und die Natur aufblühen zu sehen – und das, ohne kilometerweit fahren zu müssen wie in der Stadt, sondern es direkt vor der Haustür zu haben), habe Kuchen gebacken und sogar regelmäßig an online-Aufgaben für die Uni gearbeitet. Schritt für Schritt, oder Tag für Tag ist also mehr oder weniger bewusst mein Motto geworden. Klar, das Gefühl des Vermissens ist nie ganz verschwunden, aber durch die vielen kleinen schönen Momente machte es Freude und die erste Woche war bald schon vorüber.

Wenn ihr momentan auch langsam am Verzweifeln seid, weil euch langsam aber sicher die Decke auf den Kopf fällt, weil ihr Hobbies, Familie, Freunde vermisst, weil ihr gern mal wieder einen Einkaufsbummel machen würdet, dann denkt an Beppo. Was mache ich heute? Die Frage kann man genervt stellen im Sinne von: Noch ein Tag vor mir – was soll ich damit nur anfangen? Oder man stellt sie neugierig, mit Vorfreude: Was kann ich heute machen, um einen tollen Tag zu erleben?

Ja, ich gebe zu, nach fast vier Wochen Ausgangsbeschränkung wird es vielleicht für den einen oder die andere schwierig, sich immer wieder etwas Neues zu überlegen. Die Wohnung ist so sauber wie nie und Wäsche waschen kann man auch nicht jeden Tag machen. Aber zumindest Kochen, auch mit frischen Zutaten, ein Film- oder ein Spieleabende sind wohl Sachen, die man lange machen kann, bevor sie langweilig werden. Oder wie wäre es, mal die Kamera auszupacken und seine Wohnung oder die eigene Straße aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten? Wenn euch noch andere Sachen einfallen, die ihr gern macht, Schritt für Schritt – Tag für Tag, schreibt sie doch als Kommentar unter den Text. Möglicherweise gebt ihr jemand anderem einen neuen Impuls für einen neuen Schritt und verbreitet so ein wenig Freude.

Wie ihr merkt, kommt es nicht unbedingt darauf an, was man macht; sondern vielmehr das wie ist wichtig. An dieser Stelle möchte ich noch ein weiteres Zitat von Michael Ende einbringen, in dem er ebenjenen Sachverhalt – meiner Meinung nach sehr poetisch – beschreibt:

Dieses Geheimnis ist die Zeit. Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen


Michael Ende – Momo

ie beiden Zitate hängen so dicht zusammen. Blickt man sorgen- oder leidvoll nach vorn und sieht nur den langen Weg, der vor einem liegt – sei es die Hausarbeit, die Ausgangsbeschränkung oder der Hausputz, der mal wieder ansteht – wird es schwer, auch den kleinen Fortschritt zusehen. Die Minuten fühlen sich an wie Stunden und es geht nicht voran. Lässt man jedoch die lange Straße vor sich außer Acht und denkt nur an das, was als nächstes kommt – die Seite/ das Kapitel, das man schreibt, jeder neue Tag, der gefüllt wird mit Erlebnissen oder das einzelne zu putzende Zimmer – kommt es vielleicht dazu, dass man Freude hat beim Tun. Und dann vergeht die Zeit wie im Flug. „Denn Zeit ist Leben. Und Leben wohnt im Herzen.“ Ich wünsche euch, dass ihr aus vollem Herzen lebt und in schweren Zeiten jemanden habt, der euch an Beppos Geheimnis erinnert.

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