Geschichte der ESG Leipzig

 

Die Beschäftigung mit der Geschichte ist kein Selbstzweck. Wie Georg Santayana so schön sagte: "Wer sich der Geschichte nicht erinnert, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen."

Wir, die Evangelische Studierendengemeinde Leipzig, sind eine lebendige Gemeinde, aber das sind wir nur, weil es in unserer Geschichte immer Menschen gab, die für die Belange der ESG eintraten, kämpften, selbst wenn sie dafür ins Gefängnis gehen mussten oder zwangsexmatrikuliert wurden. Das war zu Zeiten des Nationalsozialismus, als die ESG Leipzig unter dem Dach der Bekennenden Kirche zusammentraf, und zu DDR Zeiten so. Auch in jüngster Zeit gab es große Sorgen. Die Heimat der ESG Leipzig, das ESG-Haus in der Alfred-Kästner-Straße 11, in der sich die ESG schon seit 70 Jahren versammelt, war stark sanierungsbedürftig. Nach sehr vielen Jahren ist es gelungen das Haus zu sanieren und seit 2012 trägt unser Haus den Namen Georg-Siegfried-Schmutzler-Haus. Wir, die ESG Leipzig, hängen an unserem guten alten Haus und möchten mit dieser kleinen Geschichte zeigen, dass für uns Geschichte und Tradition auch heute noch wichtige Pfeiler des Gemeindelebens sind.

Im Folgenden schildern wir nur einen kleinen Auszug aus der Geschichte der ESG. Für weitere Fragen, Anregungen, Änderungswünsche wendet euch an Michael Willig.

Es wurden hierfür folgende Quellen herangezogen:

  • Archiv der ESG Leipzig (im ESG Haus)
  • Archiv der Landeskirche Sachsen
  • Zeittafel der Bürgerbewegung in Leipzig

 

Geburtstag
1844
Erster Studentenpfarrer
1925
Namensgebung
1938
Wiedereinzug ins Georg-Siegfried-Schmutzler-Haus
2012

Unser Archiv

Schon kurz nach der Wende waren Studierende an der Geschichte der ESG Leipzig interessiert. So gab es beispielsweise Mitte der 1990er einen Geschichts-Arbeitskreis und insbesondere rund um die 50-Jahrfeier der ESG bekamen wir sehr viel "neues" altes Material von Altmitgliedern.

Dieses Material wurde in mehreren Aktionen 2003/2004 unter Anleitung eines professionellen Kirchenarchivars indiziert, sortiert und vor allem verpackt, auch wurden die Metallteile entfernt, sodass wir heute eine sehr gut erhaltene Sammlung von Dokumenten und Bildern haben, die bis in die 1920er Jahre zurückreicht.

Unser Archiv wird auch regelmäßig für wissenschaftliche Arbeiten verwendet. So sind zum Beispiel über die Zeit der 50er Jahre und die staatliche Verfolgung der Studierendengemeinde zwei Diplomarbeiten geschrieben worden. Über die Zeit danach beginnt gerade ein Student mit der Recherche. Auch über die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg gibt es bereits eine Diplomarbeit.

Der Anfang

Alles hat einen Anfang, aber um nicht bei Adam und Eva anzufangen: unsere Sintflut war 1844.

Man muss wissen: vorher war Jugendarbeit immer Bestandteil der jeweiligen Ortsgemeinden. Auch die Studenten, wenn sie zum Studium gingen, waren angehalten, sich am Studienort eine Ortsgemeinde zu suchen. Die Folge war, dass viele in einer Burschenschaft landeten und sich von der Religion abwandten. Man merkte in der Kirche, dass in der Zeit der Jugend und des Studiums, insbesondere unter dem Einfluss des großen wissenschaftlichen Fortschritts in den Naturwissenschaften, viele junge Erwachsene sich von der Kirche entfernten. Aus diesem und anderen Gründen wurde 1844 die YMCA (The Young Men's Christian Association) gegründet, dem 1848 der deutsche Ableger CVJM (Christlicher Verein Junger Menschen) folgte. Und bereits beim CVJM gab es spezielle Initiativen für die Arbeit für und mit Studenten. Insbesondere wurden an vielen deutschen Hochschulen Bibelkreise eingerichtet, aus denen dann 1895 die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) entstand. Ein Jahr später wurde in Halle der „Studentenbund für Mission“ (SfM) gegründet, 1905 die Deutsche Christliche Vereinigung Studierender Frauen (DCVSF). Alle drei Initiativen gingen nach dem Zweiten Weltkrieg in die ESG über, doch dazu später mehr. Zunächst noch zu einem wichtigen Kämpfer für die ESGn in Deutschland - Friedrich Naumann.

Friedrich Naumann, die Idee der Studentenseelsorge

Friedrich Naumann (* 25. März 1860 in Störmthal, bei Leipzig) war evangelischer Theologe und liberaler Politiker zur Zeit des Kaiserreichs. Nach ihm ist heute die FDP-nahe Friedrich-Naumann-Stiftung benannt. Naumann besuchte die Nikolaischule in Leipzig und studierte evangelische Theologie in Leipzig und Erlangen. Er war Reichstagsabgeordneter und später Mitglied der Weimarer Nationalversammlung. Er gehörte dort dem "Ausschuss zur Vorberatung des Entwurfs einer Verfassung für das Deutsche Reich" an. Aber für uns ist vor allem wichtig, dass er die Idee eigener Studentenpastoren in den Köpfen verankerte. Bereits ab 1888 hat er die Einsetzung eines Studentenpastors in allen kirchlichen und politischen Gremien immer wieder gefordert. Aber er war seiner Zeit weit voraus, denn die kirchlichen Strukturen waren noch nicht so weit. Als nächster großer Einschnitt kam der erste Weltkrieg und damit ein Zusammenbrechen des Studentischen Lebens. Insbesondere dem DCSV in Leipzig fiel der Neuanfang nach dem Ende des ersten Weltkrieges 1918 sehr schwer, da fast alle aktiven Mitglieder gefallen waren und die Überlebenden häufig im Kampf ihren Glauben verloren hatten.

Der Neuanfang nach dem ersten Weltkrieg

Aber nun kamen Naumanns Ideen wieder zum Vorschein. Seit 1920 erkannten die evangelischen Landeskirchen die Bedeutung einer christlichen Hochschularbeit. Die ersten Studentenpfarrstellen wurden zuerst im Rheinland eingerichtet. Auch in Leipzig nahm der DCSV seine Arbeit wieder auf. Arndt von Kirchbach (er wurde später erster Studentenpfarrer von Dresden) erzählte, dass er schon während seines Theologiestudiums 1920-1922 in Leipzig an den regelmäßigen Bibelstunden, offenen Abenden und Predigten in der Dresdner Straße bei Pfarrer Lic. Erich Stange (im Rahmen des DCSV) teilgenommen hatte. Und so bildete sich die theologische Arbeitsgemeinschaft Leipzig um Erich Stange. Diese bestand zum Großteil aus Altmitgliedern des DCSV. Neben den Bibelkreisen ging es dem DCSV aber auch um Werbung für christliche Arbeit mit Studenten. Damit kam die Sache ins Rollen. Im Herbst 1924 ging eine Forderung der theologischen Arbeitsgemeinschaft für die Schaffung der Stelle eines Studentenseelsorgers an die Landessynode. Diese fand die Idee gut, hatte aber das Problem, dass sie gerade handlungsunfähig war, da für neue Stellen die neue Verfassung hätte erst noch in Kraft treten müssen. Es ging damals der Landeskirche also in etwa so, wie heute der EU. Und auch die Stelle des ersten sächsischen Landesbischofs Ludwig Ihmels war erst in der Verfassung überhaupt geregelt. Das heißt, das Amt des Landesbischofs oder des Studentenpfarrers hing genauso in der Luft, wie heute der EU-Außenminister.

Aber wie schon gesagt, die sächsische Synode war interessiert und so beschloss sie einstimmig auf ihrer 18. Sitzung am 3. Oktober 1924, dem Kirchenregiment das Gesuch zur Schaffung eines Seelsorgers, auf Antrag der Leipziger theologischen Arbeitsgemeinschaft, zur Berücksichtigung zu empfehlen. In der dazugehörigen Rede wird Bezug genommen auf die Ideen Friedrich Naumanns. und schon vier Monate später, am 13.2.1925, beschloss auch das Landeskonsistorium, dass es so etwas geben sollte und schlug dem Leipziger Kirchgemeindeverband vor, die damals offene 3. Verbandspfarrstelle mit Pfr. Gerhard Kunze (geboren 29.7.1892) zu besetzen und ihm die Studentenseelsorge zu übertragen.

Der Leipziger Kirchgemeindeverband beschloss am 24.2.1925, die eigentlich nicht wieder zu besetzende Stelle der 3. Verbandspfarrstelle für einen Studentenseelsorger frei zu halten, Pfarrer Kunze wurde vorgeschlagen. Dabei war dem Verbandsausschuss aber die Bestätigung wichtig, dass die Studentenseelsorge aus Landesmitteln zu bestreiten ist. Vermutlich gab es diese Bestätigung, denn in der Folgesitzung am 31.3.1925 wurde Kunze vom Verbandsausschuss des Kirchgemeindeverband Leipzigs als 3. Verbandspfarrer mit Aufgabe der Studentenseelsorge einstimmig bestätigt.

Sein Selbstverständnis als Studentenpfarrer war von Anfang an durch den Wunsch geprägt, wissenschaftliche Vorträge anzubieten, um das Vertrauen der Studenten zu gewinnen und um zu zeigen, dass Christentum und Wissenschaft kompatibel sind. In dem Antrag auf Schaffung des Studentenpfarramts von 1924 schreibt er „ Der Studentenpfarrer ist nicht der Intellektuelle der Religion, sondern ist für die Religiosität der Intellektuellen verantwortlich. Die wissenschaftlichen Vorträge zum Beispiel zur Physik der Atompolarität, der Psychologie, Jura, Architektur, Germanistik etc. sind notwendig zur Auflockerung des Bodens für die Erkenntnis, dass das Christentum seine Stelle neben den Wissenschaften behaupten kann. Nur über diese Vorträge und auch Debatten darüber können Studenten wieder Vertrauen in die Kirche fassen."

Es sind ziemlich viele seiner Gedanken und Schriften über das Amt des Studentenpfarrers bei uns im Archiv vorhanden. Man sieht, er hat viel nachgedacht und darüber geschrieben, wie das Amt des Studentenpfarrers auszufüllen sei.

Damit konnte Gerhard Kunze pünktlich zum Beginn des Sommersemesters 1925 sein Amt antreten. Bereits am 11.5.1925 gibt es einen Artikel über das "Leipziger Studentenpfarramt" in dem gesagt wird, dass es zu diesem Semesterbeginn diese Stelle geben wird.

Seine erste Predigt als Studentenpfarrer hielt Pfarrer Kunze am 14.6.1925 in der Paulinerkirche (Universitätskirche St. Pauli zu Leipzig).

Pfarrer Kunze war Mitglied der theologischen Arbeitsgemeinschaft Leipzig und Altmitglied des DCSV. Er wohnte in der Menkestraße 36 und hat dort auch Studenten eingeladen, als die Raumfrage noch nicht geklärt war. Vor seiner Zeit als Studentenpfarrer war er ab 1921 Pfarrer in Leipzig-Gohlis. Wichtig ist, das er nicht ganz bei Null anfangen musste, da ihm als Altmitglied die Strukturen des DCSV zur Verfügung standen. Als Studentenpfarrer wirkte Gerhard Kunze acht Jahre bis 1933.

Die ESG Leipzig zur Zeit des Dritten Reiches

Mit Beginn des Dritten Reiches gab es Auseinandersetzungen um die politische Position und auch einige Parteilichkeit für nationalistische und nationalsozialistische Ziele. Es setzte sich jedoch eine Linie durch, die sich gegen die Gleichschaltung mit den NS-Hochschulgruppen richtete und die dadurch in Kauf nehmen musste, dass 1938 der DCSV verboten wurde. Während des Krieges, als christliche StudentInnen und die Mitglieder der Bekennenden Kirche zusammenrückten, übernahm die Kirche mehr und mehr institutionelle Verantwortung für die Studierenden. Der Begriff „Evangelische Studentengemeinde“ wurde geprägt, erste Studentenpfarrerkonferenzen entstanden.

Auch Studentenpfarrer Gerhard Kunze hatte unter der Machtergreifung der Nazis zu leiden. Bereits am 1. Juli 1933 wurde er vom NS-Kirchenkommissar Coch abgesetzt, übte das Amt aber wohl noch bis zum 31. Oktober 1933 aus. Kunze wurde dann glücklicherweise im November 1933 vom Landesbischof Marahrens in die Hannoversche Landeskirche aufgenommen. Nach dem Krieg war er Superintendent in Hannover, promovierte und wurde Studiendirektor am wiedereröffneten Predigerseminar in Preetz/Holstein. Er starb am 23. Oktober 1954 während einer Tagung der Studiendirektoren in Hofgeismar. Gerhard Kunze hatte vier Söhne und drei Töchter, davon soll Christine Kunze besonders erwähnt werden, da sie 2003 viele wichtige Dokumente aus dem Nachlass ihres Vaters unserem Archiv übergab.

Nach Gerhard Kunze folgte, vermutlich als Vakanzvertretung, am 18. November 1933 Pfarrer Dr. Willy Daniel Schuster, der auch zweiter Pfarrer der Leipziger Gemeinde Leutzsch war. Von Mai 1935 bis 1940 war Pfarrer Robert Hellmuth danach Werner Peukert Studentenseelsorger und zugleich Pfarrer an der Lukaskirche. Zwischen 1940 und 1945 liegen keine Aufzeichnungen vor.

Die Zeit nach dem Krieg

Nach dem Krieg folgten die Studentenpfarrer in raschem Wechsel:

  • Pfarrer Hans Rißmann ab 4.12.1945
  • Heinz Wagner ab 1.7.1946
  • Lic. Gottfried Voigt ab 21. Oktober 1946
  • ab Sommersemester April 1947 Vikar Wolfgang Caffier

Am 5. November 1947 endete der schnelle Wechsel durch die Amtseinführung des ersten Vollzeitstudentenpfarrers nach dem Zweiten Weltkrieg - Pfarrer Gothart Fehlberg.

In den vier Besatzungszonen wurde der Kirche noch am ehesten Vertrauen entgegen gebracht. Noch vor der Wiederzulassung von vielen Parteien und Vereinen wurden vielerorts Treffen der Evangelischen Studentengemeinde zugelassen. Die Deutsche Christliche Studentenvereinigung (DCSV) verzichtete nach dem Krieg auf eine Neugründung. Stattdessen ging er, zusammen mit dem Studentenbund für Mission (SfM) und der 1905 gegründete Deutschen Christlichen Vereinigung Studierender Frauen (DCVSF), in der ESG auf. Alle drei waren 1938 verboten worden und standen häufig in direktem Zusammenhang zu den Studentengruppen der Bekennenden Kirche. Während 1946 und 1947 im Briefkopf auch noch in Leipzig vom Studentenpfarramt gesprochen wurde, gibt es ab 1948 sogar einen Gesamtverband der Evangelischen Studentengemeinden in Deutschland.

Wichtig für die Zeit direkt nach dem Krieg war, dass vor allem die theologische Fakultät (insbesondere der Dekan Prof. Albrecht Alt) sich gegenüber der Landeskirche dafür aussprach, dass nicht wieder wie 1933 der Studentenpfarrer auch in einer normalen Gemeinde Dienst tun müsse sondern, dass er eine volle Stelle erhalte. Bereits im Wintersemester 1946/1947 gab es, wie man auf dem Bild sehen kann wieder ein volles Programm.

Erhalten sind viele Semesterberichte, einschließlich gewählter Vertrauensstudenten. Nebenbei sieht man auch, dass die Familie Ihmels, nach dem ersten Landesbischof Ludwig Ihmels, Prof. Carl Heinrich Ihmels (Direktor des Evangelisch-Lutherischen Missionswerks Leipzig), der häufig ab 1945 in der ESG Vorträge hielt (wie man im Bild auch sieht), nun auch Margret Ihmels als eine der ersten Vertrauensstudenten, der ESG treu bleibt.

Eine Treue, die sich bis heute fortsetzt, derzeit vor allem durch Karl-Ludwig Ihmels, der dieser Tage im Streit um die Sanierung des ESG-Hauses zwischen ESG und LKA vermittelt.

Gemeindeleben kurz nach dem Krieg

Direkt nach dem Krieg fuhr die ESG Leipzig noch nach Sehlis zur Rüstzeit und das nicht nur einmal, sondern mehrfach im Semester. Es gab Semesteranfangs- und Abschlussrüstzeiten. Aber im Semesterprogramm wird auch ausdrücklich erwähnt, dass bereits Anfang der 1950er Jahre Studenten aus Leipzig mit der ESG Halle nach Mansfeld fuhren.

Auch die ökumenische Zusammenarbeit mit der katholischen Studentengemeinde war bereits direkt nach dem Krieg sehr intensiv. Zum Beispiel holte man sich dort Rat, wie man mit hunderten interessierter Studenten umgehen könne, ohne dass völliges Chaos ausbräche. Auch mit anderen ESGn bestand reger Kontakt. Nicht nur aus der Umgebung sondern insbesondere die Spenden aus den ESGn Erlangen, Münster und München haben viel große Not gelindert. Das gleiche gilt für Spenden aus dem Ausland, zum Beispiel aus Oxford, Finnland und einer Gemeinde im schwedischen Lund. Vorrangig waren in den Paketen Lebensmittel und Bücher, aber auch Medikamente für die vielen TBC-Kranken in der ESG Leipzig. Auch der Kontakt zum Hilfswerk in Berlin wurde über die ESG hergestellt.

Die 1950er in der ESG

Damit ist Ende der 1940er Jahre die Gründung der ESG abgeschlossen, aber so jung wie sie ist, muss sie sich gleich vielfach behaupten. Viel veränderte sich mit der Gründung der DDR, dem Volksaufstand am 17. Juni 1953 und vor allem der Volkserhebung 1956 in Ungarn. Jedes Mal kam es zu einer Verschärfung der Angriffe seitens des Staates durch die FDJ, bis hin zu einem regelrechten Kreuzzug gegen den "inneren Feind".

 

Damit einher gingen dann auch Auflösung von Versammlungen der ESG durch die Volkspolizei, Verbot der Nutzung von Uni-Räumen (viele ESG-Veranstaltungen fanden auf Grund der hohen Teilnehmerzahlen [zur Zeit Siegfried Schmutzlers gab es 500 bis 600 ESG-Mitglieder] im Auditorium Maximum statt). Das führte bis hin zu den Vorwürfen der Ausbildung feindlicher Agenten in der ESG, die dann am Nachmittag des 5. Aprils 1957 zur Verhaftung des Studentenpfarrers Dr. Siegfried Schmutzler führte. Damit war planvolle Arbeit der ESG deutlich erschwert. Pfarrer Siegfried Kügler übernahm vertretungsweise die Studentenseelsorge.

Als Nachfolger kam dann zum Sommersemester 1958 Pfarrer Dietrich Mendt, der aber politische Themen eher vermied und sich vor allem auf die Bibelarbeit konzentrierte. Ab diesem Zeitpunkt waren auch Studenten, die Mitglieder der ESG waren, bei allen Bibelstunden, Vorträgen, Freizeiten und Gottesdiensten dabei, um Protokolle für die Staatssicherheit anzufertigten. Viele dieser Protokolle sind in den Stasiunterlagen erhalten geblieben und zeigen welch reiches Gemeindeleben doch auch unter dieser Bedrängung stattfand.

Und auch damals gab es Stimmen (vor allem seitens des Staates), die meinten, wozu brauche denn die ESG Leipzig ein eigenes Haus. Als Untermieter in einer kleinen Wohnung wäre sie sicher leichter zu kontrollieren. Offiziell vertrat die Stadt Leipzig damals den Standpunkt, dass es die ESG nicht gebe und sie daher auch keine Räume bräuchte.

Für die Behörden der Stadt Leipzig war Dietrich Mendt ein Pfarrer von Taucha, der sich nebenberuflich ein bisschen um die Studenten kümmerte, was man ihm nicht verbieten könne. Aber da die ESG eine illegale Vereinigung sei, gibt es keinen Studentenpfarrer und erst recht keine Studentengemeinde. Wer etwas anderes behauptet, müsse im besten Fall mit dem Erstaunen seines Gesprächspartners rechnen, im schlimmsten Fall mit einer Anzeige.

Glücklicherweise konnte die Räumung des ESG-Hauses durch Stasi-Mitarbeiter im März 1959 durch den beherzten Eingriff von Prof. Johannes Leipoldt und Prof. Kurt Wiesner verhindert werden. Am 18. Februar 1961 wurde Dr. Siegfried Schmutzler nach drei Jahren und elf Monaten vorzeitig aus der Haft entlassen. Er wurde im Juli 1991 voll rehabilitiert und am 30. Oktober 1996 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz am Bande verliehen. 2002 sagte er, trotz allem sei die Zeit als Studentenpfarrer in Leipzig die schönste Zeit seines Lebens gewesen.

Die 1960er in der ESG

Die Lage entspannte sich zwar Anfang der 1960er Jahre aber, wie man auf dem Bild sehen kann, blieben die Repressionsmaßnamen in Kraft, so zum Beispiel das Verbot, Uni-Räumlichkeiten zu nutzen (dazu zählte auch die Paulinerkirche). Im Januar 1966 wurde von den Behörden erklärt: „dass unsere Rückkehr in die Universitätskirche überhaupt nicht zur Diskussion stehen könne, da wir nicht existieren“. Die Leugnung der Existenz der ESG Leipzig blieb auch danach weiter bestehen.

1968 wurde, trotz vieler Proteste (es gab in der ESG Leipzig den AKUK: den Arbeitskreis Universitätskirche), die Universitätskirche gesprengt, die bis 1958 Heimatkirche der ESG war. Ab 1958, also schon zehn Jahre vor der Sprengung und bis heute, ist die Nikolaikirche die Kirche der Universitätsgottesdienste.

Die 1970er und 1980er Jahre in der ESG

Die 1970er Jahre waren eine Zeit der weiteren Entspannung im Verhältnis des Staates zur Kirche. Diese wurde als soziale Einrichtung vom Staat akzeptiert. Die ESG Leipzig hat sich schon seit der 70er um Randgruppen verdient gemacht. 1976 wurde der Behindertenarbeitskreis (BAK) gegründet, ihm folgte ziemlich parallel auch der Homosexuellen Arbeitskreis (HAK). Auch der Internationale Arbeitskreis (IAK) und dann in den 1980er Jahren der Arbeitskreis Frieden (AKF) zeigen das Engagement der ESG Leipzig, das aus der Kirche heraustritt und auf den Menschen in Not zugeht.

Übrigens war das auch die Zeit in der Angela Merkel bei uns war. Sie sagte in einem Interview mit Gerd Langguth: [...] Zweitens war für mich die Evangelische Studentengemeinde prägend. Das war der Ort, an dem man auch sehr viel Freiheit hatte und auch gute Diskussionen, ... die ESG war ein Ort des geistigen Austausches und Auftankens. Für mich war die Studentengemeinde eine gute Möglichkeit, beispielsweise mit Theologiestudenten oder Geschichtsstudenten zu sprechen, natürlich dort auch Vortrage zu hören oder zu diskutieren. es war eine ehr angenehme Atmosphäre, eine andere Atmosphäre als in der Sektion. Und zu den Abendveranstaltungen, die sie ja zweischichtig gemacht hatten – ich bin immer donnerstags dorthin gegangen – kamen sicherlich 100 bis 50 Leute.

Unsere ESG-Pfarrer waren:

  • 1967 – 1972 Konrad Hüttel
  • 1972-1979 Christoph Magirius
  • 1979-1984 Dieter Ziebarth

Zu Dieter Ziebarth (ESG Leipzig Studentenpfarrer 1979 - 1984) noch eine kleine Geschichte die er während des ESG-Sommerfestes 2008 erzählte. Anfang der 1980er Jahre bekam die ESG einen mysteriösen Brief, dass im Büro im ESG-Haus eine Stasi-Wanze versteckt sei. Nach mehreren Stunden intensiver Suche, kurz vor dem Aufgeben, entdeckte man sie auf dem Wandschrank in drei Metern Höhe hinter einer Blende. Pfarrer Ziebarth fuhr dann mit dieser Wanze und unter Sorge, jeden Moment verhaftet zu werden, in das Landeskirchenamt nach Dresden. Der dortige Mitarbeiter verwies aber nur auf einen Schrank, in dem sich schon ein ganzer Berg Abhörwanzen befand.

Die Wende

Ab 1984 bis 1991, also gerade während der Wendezeit, war Michael Barthels Studentenpfarrer in der ESG-Leipzig. Der Arbeitskreis Frieden und die ESG-Kontaktgruppe hatten ihre große Erfolge. Dass diese Zeit interessant und keineswegs ungefährlich war, zeigen die zahlreichen Stasiunterlagen in denen zum Beispiel alle Arbeitskreis-Mitglieder erfasst waren.

So gab es den hier abgebildeten Vordruck der ESG-Kontaktgruppe für in U-Haft sitzende ESGler einschließlich Telefonhotline, die von 11 bis 23 Uhr geschaltet war. Auch sind Berichte der ESGler erhalten, die damals nach dem Friedensgebet in der Nikolaikirche festgenommen wurden. Und auch an der Koordinierung und Durchführung der täglichen Fürbittandachten und Friedensgebete für die Inhaftierten waren ESGler immer dabei. Insbesondere, so die Stasiunterlagen, diente das Haus der ESG als Kontaktstelle zur Koordination und Gewährleistung der nationalen und internationalen Informationsübermittlung, zum Beispiel nach München. Auch sind über die ESG und Pfarrer Barthels die internationalen Solidaritätsbekundungen übermittelt wurden.

Am 26. Januar 1988 wurde Pfarrer Barthels wegen der Bereitstellung der ESG-Räume für die täglich stattfindenden Fürbittandachten in den Rat der Stadt Leipzig bestellt. Es gibt einige zeitweilige Verhaftungen. Das Informationsgebet in den Räumen der ESG besuchten ungefähr 100 Personen. Das MfS bildete eine spezielle Lagegruppe ("Spinne"), die alle Aktionen des Sicherheitskartells gegen oppositionelle Aktivitäten um die Fürbittengebete koordinieren sollte. [archivbuerg]

Aber auch in dieser Zeit kam der Humor nicht zu kurz am 27.02.1989 fand der ESG-Fasching unter dem Motto „Mit einem Bein im Knast“ statt.

Nach Michael Barthels folgte relativ kurz von 1991 bis 1994 Udo Thorn, dann von 1995 bis 2006 Stephan Bickhardt, den sicher noch einige kennen. Ab dem 01.4.2006 bis 2018 war Frank Martin im Amt. Danach folgte ihm Markus Franz.