Wochenspruch: „Der Menschensohn ist gekommen, zu suchen und selig zu machen, was verloren ist.“ | Lk 19,10
Lukas 15, 1-10 1Es nahten sich ihm aber alle Zöllner und Sünder, um ihn zu hören. 2Und die Pharisäer und die Schriftgelehrten murrten und sprachen: Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen.
[Vom verlorenen Schaf] 3Er sagte aber zu ihnen dies Gleichnis und sprach: 4Welcher Mensch ist unter euch, der hundert Schafe hat und, wenn er eines von ihnen verliert, nicht die neunundneunzig in der Wüste lässt und geht dem verlorenen nach, bis er’s findet? 5Und wenn er’s gefunden hat, so legt er sich’s auf die Schultern voller Freude. 6Und wenn er heimkommt, ruft er seine Freunde und Nachbarn und spricht zu ihnen: Freut euch mit mir; denn ich habe mein Schaf gefunden, das verloren war. 7Ich sage euch: So wird auch Freude im Himmel sein über einen Sünder, der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
[Vom verlorenen Groschen] 8Oder welche Frau, die zehn Silbergroschen hat und einen davon verliert, zündet nicht ein Licht an und kehrt das Haus und sucht mit Fleiß, bis sie ihn findet? 9Und wenn sie ihn gefunden hat, ruft sie ihre Freundinnen und Nachbarinnen und spricht: Freut euch mit mir; denn ich habe meinen Silbergroschen gefunden, den ich verloren hatte. 10So, sage ich euch, ist Freude vor den Engeln Gottes über einen Sünder, der Buße tut.
Vielleicht fällt manchen von uns sofort etwas ein, wenn man sie fragt: Wann hast Du Dich das letzte Mal gefreut? Und manche von uns müssen vielleicht lange überlegen, wann das wohl gewesen ist?
In unserem heutigen Predigttext geht es genau um dieses Thema, um die Freude. Aber eigentlich, um die Pointe der Predigt eigentlich schon vorwegzunehmen, geht es ja beim christlichen Glauben genau um das – um Freude! Evangelium heißt ja gute Nachricht, frohe Botschaft.
„Freude, sich freuen“. Im Deutschen ist das eigentlich eine etwas seltsame Formulierung: sich freuen. Ich freue mich. Freust Du dich? Das klingt fast so, als ob man das selbst macht sich freuen, sich selbst erfreuen, sich selbst eine Freude machen. Aber geht das so einfach? Geht das überhaupt?
Sich freuen – dadurch ist wohl vielmehr ausgedrückt, dass Freude immer etwas mit uns selbst, als Mensch, als Person, im Ganzen zu tun hat. Wenn wir uns freuen, dann sind wir tief und ganz berührt mit all dem, was zu uns gehört.
Das ist nicht wie beim Schmerz. Wo uns der Kopf oder der Fuß weh tun kann.
Bei der Freude freut sich nicht nur unser Kopf oder unser Fuß, sondern wir als Menschen werden in Freude versetzt.
Und obwohl wir das so sagen sich freuen, ist die Freude etwas, das nicht aus uns selbst kommt. Wir wissen es gibt auch Situation und Zeiten, in denen wir scheinbar ebenso ganz von Trauer oder Einsamkeit oder Schuld belegt und besetzt sind, dass keine Freude in uns zu finden ist.
Im Ernstfall, wenn wir sie am nötigsten bräuchten, dann will sie sich partout nicht einstellen. Alle Anstrengung sich nun endlich und doch und trotzdem zu freuen, wir wissen es, sind zum Scheitern verurteilt.
Freude ist nicht herstellbar, nicht planbar. Ich weiß gar nicht, ob man Freude trainieren kann? Ich denke eher nicht.
Wir werden von der Freude überrascht. Die Freude kommt oft unerwartet und plötzlich. Die Freude sucht uns heim, klopft einfach so an die Tür, oder nicht einmal, sondern überfällt uns. In diese Sinne ist Freude wohl eher ein Geschenk als eine Fähigkeit, Kompetenz oder Leistung. Sie ist eine Gabe, eine Überraschung. Und vielleicht gehört auch das zur Freude, dass sie nie selbstverständlich ist. Über das Selbstverständliche freut man sich nicht. Das nimmt man einfach so oder bemerkt es gar nicht. Aber Freude, die merkt man – ganz sicher!
Die beiden Gleichnisse, die Jesus hier im Lukasevangelium den Menschen erzählt, handeln auch von der Freude. Einer Freude, die im Himmel ist!
Was wäre, wenn das eigentlich Synonyme wären: Himmel und Freude. Vielleicht würden wir ein wenig mehr verstehen, was Himmel bedeutet, ein Ort, an dem Freude ist. Ob das vielleicht schon ein wichtiger Gedanke ist, dass Freude etwas Himmlisches sein könnte, ja sogar etwas göttliches und deshalb auch etwas menschliches.
Aber worüber freut sich der Himmel eigentlich? Was ist der Inhalt der Freude?
7Ich sage euch: So wird […] Freude im Himmel sein über einen Sünder, der [umkehrt], der Buße tut, mehr als über neunundneunzig Gerechte, die der Buße nicht bedürfen.
Was, haben wir uns verhört? Freude über die Sünder, über die Verlorenen und Verirrten? Die Gescheiterten, über die Versager und Verlierer? Ich glaube wir können gut verstehen, warum die Pharisäer und Schriftgelehrten, die Frommen, Gerechten, Ehrwürdigen, Erfolgreichen und Gebildeten murren. Dieser nimmt die Sünder an und isst mit ihnen, empören sie sich. Man kann ihre Empörung doch auch verstehen. Das, was Jesus tut, sieht doch so aus, als ob er nicht weiß, was er tut. Legitimiert er durch sein Tun, nicht die Sünde. Als ob er Moral und Gerechtigkeit, Recht und Religion nicht so ernst nimmt. Man muss doch zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse unterscheiden!
Wenn dieser im Namen Gottes spricht und handelt, dann bitteschön richtig. Denn Gott steht doch für das Richtige, das Gut und das Gerechte.
Und ich würde meinen, Jesus bestreitet das nicht einmal, aber wie so oft erzählt er eine Geschichte. Eine Gegengeschichte, die eine neuen Horizont eröffnet. Jesus selbst ist ja Gottes Geschichte, in der Menschen vor einen neuen Horizont gestellt werden.
Vielleicht könnte man Jesu Gleichnisse auch als Frage verstehen, als Frage an die Pharisäer und Schriftgelehrten. Als Frage an die, die sich ernsthaft mit Religion und Glauben auseinandersetzen, die ernsthaft ihren Glauben leben und befolgen, als Frage an die Theologinnen und Theologen, die über Gott forschen und von Gott reden.
Wer ist euer Gott? Wie ist euer Gott? – Ist es das Prinzip, dass Gut und Böse, Schwarz und Weiß immer klar sind? Ist es die Idee, dass letztendlich nur Leistung zählt und Erfolg der Lohn und der Indikator der Tüchtigen und Fleißigen ist. Ist es der Gott, der Menschen mit Gaben ausstattet, die sie dann verantwortlich einsetzen und nutzen müssen?
Es scheint fast so, als ob Jesus mit dem Gleichnisse sagen will: All das, so überzeugend es scheint, so philosophisch anknüpfungsfähig es scheint, so sehr durch die Erfahrung bestätigt es ist, ist nicht der lebendige Gott. Es scheint fast so, als ob Jesus sagen will: Gott ist nicht Moral oder Vernunft oder das höchste Gut.
– Gott ist Freude. Gott ist Freude, weil Gott die Liebe ist. Und davon handeln doch eigentlich diese Gleichnisse. Sie setzen einen anderen Horizont.
Ok, gut, der Frau hätten wir es bestimmt gleichgetan. Einer der 10 Einhundert-Euro-Scheine aus dem Sparstrumpf zu Hause verloren, da fängt man schon zu suchen an.
Vielleicht hätten wir aber bei den Schafen schon überlegt? Ist die Gefahr nicht zu groß, dass man letztendlich ohne Herde dasteht, wenn man das eine verlorene Schaf sucht und die 99 anderen zurücklässt? 1% Verlust ist vielleicht etwas, dass man verschmerzen kann. Man kann sich ja auch über die 99 restlichen noch freuen bzw. darüber, dass – Gott sei Dank – nur ein Schaf sich verirrt hat. Selber dran schuld!
Ich glaube, so rechnen Vernunft und Moral und Verantwortung – so rechnen wir Menschen. Aber umso wichtiger, weil wir Menschen sind, die so rechnen und denken, sollen wir wissen und hören, dass Gott nicht so rechnet und denkt und handelt.
Die Liebe Gottes rechnet und denkt und handelt anders. Da ist einer genauso wichtig wie 10 oder sogar wie 99. Gerade für die Liebe ist der Eine, der verloren geht noch wichtiger als die 99 Starken.
Wir Menschen sollen hören, dass die Liebe Gottes nicht nur ein Prinzip, ein Ideal, eine schöne Idee ist, sondern, der Horizont, vor dem wir Menschen leben dürfen, wenn wir schon selbst nicht so rechnen und handeln und denken.
Aber ich glaube, irgendwie steckt auch uns diese Geschichte an. Irgendwie verändert sie den Blick auf unseren Nächsten, unsere Nächste. Irgendwie sprengt sie die Kategorien von Gut und Böse, Richtig und Falsch, die wir an andere Menschen anlegen. Und irgendwie zeigen sie uns, dass vielleicht nicht der Ist-Zustand das Entscheidende ist, sondern das was wird, was sich verändert. Nicht wie ein Mensch ist und war, sondern, das was werden wird, was sich an ihm und ihr ändern wird.
Ob davon der christliche Glaube handelt? Nicht das Menschen gut sind und gut sein müssen. Aber davon, dass Menschen ihren Sinn ändern dürfen, umkehren dürfen und neu anfangen können. Auch davon handelt der Glaube, dass Menschen manchmal scheitern, dass wir uns verrennen, manchmal sogar selbst verlieren.
Und vor allem davon handelt der Glaube, dass der lebendige Gott, auf der Suche nach uns ist, wenn wir uns verloren haben und dass Freude im Himmel ist, wo Menschen sich finden, wo Menschen einander finden, wo Menschen Glaube und Hoffnung und Frieden finden.
Ein letzter Aspekt der Gleichnisse ist noch wichtig. Ich glaube es ist kein Zufall, dass beide Findenden ihre Freude weitererzählen an die Freunde und die Freundinnen und Nachbarn und Nachbarinnen. Freude will anstecken und Freude steckt auch an.
Christliche Gemeinde, Kirche teilt die Freude Gottes über die, die verloren waren und gefunden sind und gewinnt selbst Freude am Suchen nach und vielleicht noch wichtiger mit den Verlorenen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unser Herzen und Sinne in Jesus Christus, der uns – Gott sei Dank – von der Freude Gottes erzählt hat. Amen.