Die Andacht für heute Abend hat Dania vorbereitet. Viel Freude beim Lesen!
Mein Babysitterkind Birte ist fünf Jahre alt. Sie wird bald sechs und kommt im Herbst in die Schule. Neulich sind wir gerade auf dem Weg in die Küche, als sie völlig unvermittelt zu mir sagt: „Der liebe Gott kann nicht alles machen.“ Sie formuliert diesen Satz recht endgültig, doch in ihrer Stimme schwingt ein Unterton mit, der eine Reaktion von mir einfordert. Deshalb frage ich nach: „Was willst du denn, was er machen soll?“ „Dass das Corona nicht mehr bei uns ist und nur noch bei Afrika.“ Ob dieser „sehr menschenfreundlichen“ Aussage muss ich mir das Lachen verkneifen, entgegne aber nur: „ Können wir uns darauf einigen, dass du möchtest, dass es ganz aufhört?“ „Warum?“ „Weil die Menschen in Afrika das auch nicht haben möchten.“ Hm. Okay. Doch damit ist Birtes Problem noch nicht gelöst. „Der liebe Gott kann das nicht machen, nicht wahr?“ bohrt sie nach.
Ich zögere mit der Antwort, weil ich nicht weiß, was ich darauf erwidern soll. Für Gott ist alles möglich – so habe ich es seit frühester Kindheit immer wieder gehört, mit der ersten Zeile des Glaubensbekenntnisses „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen“ selbst unzählige Male gesprochen. Doch wenn ich einfach nur sage: „Doch, kann er“, wird Birtes nächste Frage mit ziemlicher Sicherheit sein: „Und warum macht er dann nicht, dass es aufhört?“ Das Mädchen ist clever. Und die Antwort darauf würde mir noch schwerer fallen, auf eins dieser Kernprobleme des Christentums, die Frage der Theodizee: „Warum lässt Gott Leid zu?“
Aber auch wenn man außer Acht lässt, dass ich diese Frage vermeiden möchte, gibt es noch einen zweiten, sehr persönlichen Aspekt, weshalb ich nicht mit „Doch, kann er“ reagiere. Mit ihrer kindlich unschuldigen Behauptung hat Birte mich herausgefordert, meinen eigenen Glauben zu hinterfragen. Glaube ich wirklich, dass Gott diese Pandemie von jetzt auf gleich beenden kann? Wenn ich ehrlich bin, habe ich diese Möglichkeit gar nicht in Erwägung gezogen; Gott als aktiv handelnder Akteur ist meinem wissenschaftlich-rational denkenden Erwachsenenhirn fremd geworden. Vielleicht kann ich es so formulieren: „Ich glaube, dass Gott machen könnte, dass es aufhört, aber ich bin mir sicher, dass er es nicht tun wird.“ Ist das Resignation? Ein Sich-fügen in den so oft erlebten nicht zu ändernden Lauf der Welt? Andererseits muss ich an zwei Situationen aus den letzten Monaten zurückdenken:
1. Ich saß mit Birte in der Straßenbahn, als ich den Anruf ihrer Mutter bekam, dass in Halle ein Attentäter herumläuft und wir so schnell wie möglich heimkommen sollen. Durch die vielen (Fehl-)informationen, die ich durch das Hören auf die Gespräche um mich herum und das Mitlesen von Handynachrichten erhielt, fühlte sich die Situation viel bedrohlicher an, als sie letztendlich war. Und während ich die Umgebung beobachtete und nebenbei Birte tröstete, die sich auf meinem Schoß verängstigt an mich kuschelte, faltete ich die Hände und betete still um Behütung.
Da stellt sich jetzt natürlich die Frage, warum ich so handelte, wenn ich nicht mit einem aktiven Eingreifen Gottes rechne.
2. Im Februar wollte ich mit Birtes großer Schwester eine Veranstaltung in Berlin besuchen, zwei Tage vorher wurde sie jedoch krank und hatte noch am Abend vor der Show recht hohes Fieber, sodass es aussah, als könnte sie nicht mitkommen. Damit wollte ich mich nicht abfinden und betete vor dem Einschlafen noch einmal für sie um Genesung. Am nächsten Morgen schrieb mir ihre Mutter, das Fieber wäre verschwunden und sie fühle sich fit genug um mitzukommen. Damals vor zwei Monaten nahm ich mir vor, nie wieder daran zu zweifeln, dass Gott Gebete hört.
Und während mir das alles durch den Kopf geht, weiß ich auf einmal, was ich Birte antworten kann. „Wir wissen nicht, wie Gott handelt. Aber du kannst ihn auf jeden Fall darum bitten.“ Sie denkt kurz nach und schüttelt dann den Kopf: „Nein, ich weiß kein Gedicht dafür.“ „Du brauchst kein Gedicht. Du kannst mit Gott mit deinen eigenen Worten reden, ganz normal, wie mit deinen Freunden oder deinen Eltern.“ Birte sieht mich skeptisch an. Dass es Gebete gibt, die nicht wie Kindergebete in Reimform sind, überfordert sie. Deshalb sage ich: „Du kannst einfach sagen: Lieber Gott, ich möchte bitte, dass Corona aufhört und ich wieder in den Kindergarten gehen kann. Und Gott entscheidet dann selber, ob er dein Gebet erhört oder nicht.“
Wie gut, dass wir kein Gedicht brauchen, um mit Gott zu sprechen. Wie gut, dass wir ihn um alles bitten können. Ich wünsche uns den Glauben, dass Gott alles machen kann. Aber auch Akzeptanz, wenn er anders handelt, als wir es uns wünschen. Vertrauen darauf, dass er uns sieht und uns nicht mehr zumutet, als wir ertragen können. Und manchmal ein Kind, dass seine Gedanken einfach ausspricht und so den Staub von unserem festgefahrenen Menschen-Gott-Welt-Bild schüttelt.
Amen.
Ein Gedanke zu „Was kann Gott machen?“
Danke fürs Birte’s gute Frage und deine gute Antwort. Eine tolle Andacht.