Die Morgenandacht zum Mitlesen stammt heute von Elisabeth:
Es ist schon zwei Jahre her, da hat Großbritannien ein Ministerium gegründet, um einer Epidemie entgegenzuwirken. Nein, das hat nichts mit einer prophetischen Voraussicht auf das Virus zu tun, das uns heute beschäftigt. Es ging um eine „Epidemie im Verborgenen“, die krank macht und nachweislich die Lebenserwartung reduziert. Sie trifft alte wie junge Menschen, und es werden immer mehr. Diese Epidemie, der sich die Briten mit einem eigenen Ministerium angenommen haben, ist die Einsamkeit.
Das Gemeine ist nun, dass durch die Kontaktbeschränkungen, die derzeit – um der Gesundheit willen – eingeführt werden, die Einsamkeit – mit ihren Folgen für seelische und körperliche Gesundheit – noch zunimmt. Klar, ob man sich nun einsam fühlt, muss zwar nicht unbedingt damit zusammenhängen, ob man tatsächlich allein ist. Man kann sich auch in Gemeinschaft sehr einsam fühlen, zum Beispiel, wenn man das Gefühl hat, dass einen niemand versteht. Aber ich glaube schon, dass erzwungenes Alleinsein das Gefühl der Einsamkeit verstärkt. Ich denke an alte Menschen, zuhause oder in Pflegeheimen, die im Moment niemand besuchen kommt, und die selbst nicht mit Videoanrufen oder teilweise nicht einmal mit einem einfachen Telefon zurechtkommen. Ich denke an Menschen, die psychisch krank sind, an Depression leiden, und die ihre Therapeutinnen gerade nicht treffen können und so auf sich selbst gestellt sind. Ich denke an Trauernde, für die es manchmal das Heilsamste ist, einfach in den Arm genommen zu werden. Ich denke an junge Menschen, die gerade – vielleicht in einer neuen Stadt, mit einem neuen Studium oder beim Berufseinstieg – neu durchstarten wollten, sich ein neues soziales Umfeld aufbauen, und jetzt einsam in ihren Wohnungen sitzen. An junge Menschen, die sich nach Nähe und einer liebevollen Partnerschaft sehnen, oder denen gerade die spontane Nähe von Fremden bei unverbindlichen Dates fehlt.
Einsamkeit hat so viele Gesichter, dass es kaum möglich ist, eine für alle passende Antwort darauf zu finden – das wird auch das britische Ministerium nicht leisten können. Jede Einsamkeit ist anders, und deshalb kann man sie auch nicht eine gegen die andere aufwiegen, nach dem Motto: stell dich nicht so an, anderen geht es viel schlimmer; oder: ja, die die Jungen jammern rum, aber hat schon mal jemand an die Alten gedacht. Einsamkeit lässt sich nicht von außen nach ihrer Angemessenheit beurteilen.
Wie also umgehen mit der Einsamkeit? Ich glaube nicht, dass einer Person, die sich einsam fühlt, geholfen ist, indem man ihr sagt: Du bist nicht einsam, Gott ist immer bei dir. Das mag richtig sein, doch wenn diese Person das wirklich spüren würde, würde sie sich nicht einsam fühlen. Hält die Bibel Trost für die Einsamen bereit? Schon in der Schöpfung legt Gott fest: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. In der Bibel hat Einsamkeit oft mit Gottesferne zu tun. Am prominentesten ist der Schrei Jesu am Kreuz, mit dem alten Psalmwort: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wirft man einen Blick in die Psalmen, dann finden sich zahlreiche weitere Stellen, an denen Menschen über Einsamkeit und Verlassenheit klagen. Oder man liest im Buch Hiob davon, wie Hiob sich zu sterben wünscht angesichts des Leids, das Gott ihm antut. Die Klage ist in erster Linie die Sprachform, die die Bibel für das Gefühl der Einsamkeit bereithält. Und in sie mit einzustimmen, ist ein legitimer erster Schritt aus der Einsamkeit in die Gemeinschaft; gemeinsame Klage ein erster Schritt in Richtung Trost; Gott anklagen ein erster Schritt aus der Gottferne.
Einsamkeit ist in der Bibel jedoch nicht allein negativ bewertet. Für viele biblische Figuren ist die Einsamkeit – oft in Verbindung mit bestimmten Orten, in der Wüste oder auf einem Berg – der Ort der Gottesbegegnung. Abraham, Hagar, Jakob, Mose, Elia – die Reihe lässt sich fortsetzen. Daran knüpfen seit der frühesten Christenheit die Eremiten an. Sie begeben sich in freiwillige Isolation, um sich ganz auf Gott konzentrieren zu können.
Für die Israeliten im Exil ist Einsamkeit auch eine grundlegende Erfahrung. Sie sind unter Fremden, fern ihrer Heimat, werden dort nicht verstanden und fühlen sich von ihrem Gott verlassen. Sie klagen über ihre Einsamkeit, aber auch über die Einsamkeit und Verlassenheit ihrer Heimatstadt. Doch immer ist da auch die Stimme, die dagegenhält: Gott hat uns auch früher geholfen! Habt Geduld! Es wird ein Ende haben! Und die ein farbenfrohes Bild zeichnen, wie das Zusammensein eines Tages aussehen wird, wenn die Isolation vorbei ist. Wie der Prophet Jeremia an die Exilsgemeinde schreibt:
11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. 13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.
Jer 29
Oder das berühmte Lied der Gefangenen, Psalm 126:
1 Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. 2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan! 3 Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. 4 Herr, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. 5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 6 Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.
Ps 126
Das ist nun kein Patentrezept – So geht’s: Mit der Bibel aus der Einsamkeit in fünf Schritten, oder so ähnlich. So unterschiedlich die Einsamkeiten sind, so unterschiedlich sind auch die Wege, daraus zu helfen. Aber trotzdem lassen sich zwei wichtige Schritte aus der Bibel lernen: Gott sucht die Verlorenen. Einsame melden sich oft nicht von selbst oder finden von selbst in die Gemeinschaft zurück; es gilt, sie zu suchen wie das verlorene Schaf. Und dann kann mit Zuhören, Verstehen und Anerkennen Trost und Gemeinschaft beginnen.