Morgengebet: Einsamkeit

Die Morgenandacht zum Mitlesen stammt heute von Elisabeth:

Bild: Y.Shishido / Wikimedia Commons

Es ist schon zwei Jahre her, da hat Großbritannien ein Ministerium gegründet, um einer Epidemie entgegenzuwirken. Nein, das hat nichts mit einer prophetischen Voraussicht auf das Virus zu tun, das uns heute beschäftigt. Es ging um eine „Epidemie im Verborgenen“, die krank macht und nachweislich die Lebenserwartung reduziert. Sie trifft alte wie junge Menschen, und es werden immer mehr. Diese Epidemie, der sich die Briten mit einem eigenen Ministerium angenommen haben, ist die Einsamkeit.

Das Gemeine ist nun, dass durch die Kontaktbeschränkungen, die derzeit – um der Gesundheit willen – eingeführt werden, die Einsamkeit – mit ihren Folgen für seelische und körperliche Gesundheit – noch zunimmt. Klar, ob man sich nun einsam fühlt, muss zwar nicht unbedingt damit zusammenhängen, ob man tatsächlich allein ist. Man kann sich auch in Gemeinschaft sehr einsam fühlen, zum Beispiel, wenn man das Gefühl hat, dass einen niemand versteht. Aber ich glaube schon, dass erzwungenes Alleinsein das Gefühl der Einsamkeit verstärkt. Ich denke an alte Menschen, zuhause oder in Pflegeheimen, die im Moment niemand besuchen kommt, und die selbst nicht mit Videoanrufen oder teilweise nicht einmal mit einem einfachen Telefon zurechtkommen. Ich denke an Menschen, die psychisch krank sind, an Depression leiden, und die ihre Therapeutinnen gerade nicht treffen können und so auf sich selbst gestellt sind. Ich denke an Trauernde, für die es manchmal das Heilsamste ist, einfach in den Arm genommen zu werden. Ich denke an junge Menschen, die gerade – vielleicht in einer neuen Stadt, mit einem neuen Studium oder beim Berufseinstieg – neu durchstarten wollten, sich ein neues soziales Umfeld aufbauen, und jetzt einsam in ihren Wohnungen sitzen. An junge Menschen, die sich nach Nähe und einer liebevollen Partnerschaft sehnen, oder denen gerade die spontane Nähe von Fremden bei unverbindlichen Dates fehlt.

Einsamkeit hat so viele Gesichter, dass es kaum möglich ist, eine für alle passende Antwort darauf zu finden – das wird auch das britische Ministerium nicht leisten können. Jede Einsamkeit ist anders, und deshalb kann man sie auch nicht eine gegen die andere aufwiegen, nach dem Motto: stell dich nicht so an, anderen geht es viel schlimmer; oder: ja, die die Jungen jammern rum, aber hat schon mal jemand an die Alten gedacht. Einsamkeit lässt sich nicht von außen nach ihrer Angemessenheit beurteilen.

Wie also umgehen mit der Einsamkeit? Ich glaube nicht, dass einer Person, die sich einsam fühlt, geholfen ist, indem man ihr sagt: Du bist nicht einsam, Gott ist immer bei dir. Das mag richtig sein, doch wenn diese Person das wirklich spüren würde, würde sie sich nicht einsam fühlen. Hält die Bibel Trost für die Einsamen bereit? Schon in der Schöpfung legt Gott fest: Es ist nicht gut, dass der Mensch allein sei. In der Bibel hat Einsamkeit oft mit Gottesferne zu tun. Am prominentesten ist der Schrei Jesu am Kreuz, mit dem alten Psalmwort: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Wirft man einen Blick in die Psalmen, dann finden sich zahlreiche weitere Stellen, an denen Menschen über Einsamkeit und Verlassenheit klagen. Oder man liest im Buch Hiob davon, wie Hiob sich zu sterben wünscht angesichts des Leids, das Gott ihm antut. Die Klage ist in erster Linie die Sprachform, die die Bibel für das Gefühl der Einsamkeit bereithält. Und in sie mit einzustimmen, ist ein legitimer erster Schritt aus der Einsamkeit in die Gemeinschaft; gemeinsame Klage ein erster Schritt in Richtung Trost; Gott anklagen ein erster Schritt aus der Gottferne.

Einsamkeit ist in der Bibel jedoch nicht allein negativ bewertet. Für viele biblische Figuren ist die Einsamkeit – oft in Verbindung mit bestimmten Orten, in der Wüste oder auf einem Berg – der Ort der Gottesbegegnung. Abraham, Hagar, Jakob, Mose, Elia – die Reihe lässt sich fortsetzen. Daran knüpfen seit der frühesten Christenheit die Eremiten an. Sie begeben sich in freiwillige Isolation, um sich ganz auf Gott konzentrieren zu können.

Für die Israeliten im Exil ist Einsamkeit auch eine grundlegende Erfahrung. Sie sind unter Fremden, fern ihrer Heimat, werden dort nicht verstanden und fühlen sich von ihrem Gott verlassen. Sie klagen über ihre Einsamkeit, aber auch über die Einsamkeit und Verlassenheit ihrer Heimatstadt. Doch immer ist da auch die Stimme, die dagegenhält: Gott hat uns auch früher geholfen! Habt Geduld! Es wird ein Ende haben! Und die ein farbenfrohes Bild zeichnen, wie das Zusammensein eines Tages aussehen wird, wenn die Isolation vorbei ist. Wie der Prophet Jeremia an die Exilsgemeinde schreibt:

11 Denn ich weiß wohl, was ich für Gedanken über euch habe, spricht der Herr: Gedanken des Friedens und nicht des Leides, dass ich euch gebe Zukunft und Hoffnung. 12 Und ihr werdet mich anrufen und hingehen und mich bitten, und ich will euch erhören. 13 Ihr werdet mich suchen und finden; denn wenn ihr mich von ganzem Herzen suchen werdet, 14 so will ich mich von euch finden lassen, spricht der Herr, und will eure Gefangenschaft wenden und euch sammeln aus allen Völkern und von allen Orten, wohin ich euch verstoßen habe, spricht der Herr, und will euch wieder an diesen Ort bringen, von wo ich euch habe wegführen lassen.

Jer 29

Oder das berühmte Lied der Gefangenen, Psalm 126:

1 Wenn der Herr die Gefangenen Zions erlösen wird, so werden wir sein wie die Träumenden. 2 Dann wird unser Mund voll Lachens und unsre Zunge voll Rühmens sein. Da wird man sagen unter den Völkern: Der Herr hat Großes an ihnen getan! 3 Der Herr hat Großes an uns getan; des sind wir fröhlich. 4 Herr, bringe zurück unsre Gefangenen, wie du die Bäche wiederbringst im Südland. 5 Die mit Tränen säen, werden mit Freuden ernten. 6 Sie gehen hin und weinen und tragen guten Samen und kommen mit Freuden und bringen ihre Garben.

Ps 126

Das ist nun kein Patentrezept – So geht’s: Mit der Bibel aus der Einsamkeit in fünf Schritten, oder so ähnlich. So unterschiedlich die Einsamkeiten sind, so unterschiedlich sind auch die Wege, daraus zu helfen. Aber trotzdem lassen sich zwei wichtige Schritte aus der Bibel lernen: Gott sucht die Verlorenen. Einsame melden sich oft nicht von selbst oder finden von selbst in die Gemeinschaft zurück; es gilt, sie zu suchen wie das verlorene Schaf. Und dann kann mit Zuhören, Verstehen und Anerkennen Trost und Gemeinschaft beginnen.

#NichtSoWieDieser: Sublan-Gottesdienst

Zum Glück bin ich nicht so wie dieser!
Sagt der Fromme im Tempel, mit Blick auf den Zollbeamten. (Lk 18)
Sagen wir, mit Blick auf wen?
Sagt wer, mit Blick auf uns?

Einen besonderen Gottesdienst feiern wir morgen zusammen: Ein Team aus ESG und Erlösergemeinde Leipzig-Thonberg hat in den letzten Wochen einen interaktiven, digitalen Gottesdienst, einen sogenannten Sublan-Gottesdienst, vorbereitet. Ihr könnt mitfeiern, indem ihr den Livestream auf sublan.tv verfolgt und selbst Beiträge schreibt. Los geht es um 17 Uhr.

Eure Beiträge bestimmen mit, was in der Predigt diskutiert wird!
Eure Fürbitten landen live am Altar!

Wir sind gespannt und freuen uns auf euch!

Was kann Gott machen?

Die Andacht für heute Abend hat Dania vorbereitet. Viel Freude beim Lesen!

Mein Babysitterkind Birte ist fünf Jahre alt. Sie wird bald sechs und kommt im Herbst in die Schule. Neulich sind wir gerade auf dem Weg in die Küche, als sie völlig unvermittelt zu mir sagt: „Der liebe Gott kann nicht alles machen.“ Sie formuliert diesen Satz recht endgültig, doch in ihrer Stimme schwingt ein Unterton mit, der eine Reaktion von mir einfordert. Deshalb frage ich nach: „Was willst du denn, was er machen soll?“ „Dass das Corona nicht mehr bei uns ist und nur noch bei Afrika.“ Ob dieser „sehr menschenfreundlichen“ Aussage muss ich mir das Lachen verkneifen, entgegne aber nur: „ Können wir uns darauf einigen, dass du möchtest, dass es ganz aufhört?“ „Warum?“ „Weil die Menschen in Afrika das auch nicht haben möchten.“ Hm. Okay. Doch damit ist Birtes Problem noch nicht gelöst. „Der liebe Gott kann das nicht machen, nicht wahr?“ bohrt sie nach.

Ich zögere mit der Antwort, weil ich nicht weiß, was ich darauf erwidern soll. Für Gott ist alles möglich – so habe ich es seit frühester Kindheit immer wieder gehört, mit der ersten Zeile des Glaubensbekenntnisses „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen“ selbst unzählige Male gesprochen. Doch wenn ich einfach nur sage: „Doch, kann er“, wird Birtes nächste Frage mit ziemlicher Sicherheit sein: „Und warum macht er dann nicht, dass es aufhört?“ Das Mädchen ist clever. Und die Antwort darauf würde mir noch schwerer fallen, auf eins dieser Kernprobleme des Christentums, die Frage der Theodizee: „Warum lässt Gott Leid zu?“

Aber auch wenn man außer Acht lässt, dass ich diese Frage vermeiden möchte, gibt es noch einen zweiten, sehr persönlichen Aspekt, weshalb ich nicht mit „Doch, kann er“ reagiere. Mit ihrer kindlich unschuldigen Behauptung hat Birte mich herausgefordert, meinen eigenen Glauben zu hinterfragen. Glaube ich wirklich, dass Gott diese Pandemie von jetzt auf gleich beenden kann? Wenn ich ehrlich bin, habe ich diese Möglichkeit gar nicht in Erwägung gezogen; Gott als aktiv handelnder Akteur ist meinem wissenschaftlich-rational denkenden Erwachsenenhirn fremd geworden. Vielleicht kann ich es so formulieren: „Ich glaube, dass Gott machen könnte, dass es aufhört, aber ich bin mir sicher, dass er es nicht tun wird.“ Ist das Resignation? Ein Sich-fügen in den so oft erlebten nicht zu ändernden Lauf der Welt? Andererseits muss ich an zwei Situationen aus den letzten Monaten zurückdenken:

1. Ich saß mit Birte in der Straßenbahn, als ich den Anruf ihrer Mutter bekam, dass in Halle ein Attentäter herumläuft und wir so schnell wie möglich heimkommen sollen. Durch die vielen (Fehl-)informationen, die ich durch das Hören auf die Gespräche um mich herum und das Mitlesen von Handynachrichten erhielt, fühlte sich die Situation viel bedrohlicher an, als sie letztendlich war. Und während ich die Umgebung beobachtete und nebenbei Birte tröstete, die sich auf meinem Schoß verängstigt an mich kuschelte, faltete ich die Hände und betete still um Behütung.

Da stellt sich jetzt natürlich die Frage, warum ich so handelte, wenn ich nicht mit einem aktiven Eingreifen Gottes rechne.

2. Im Februar wollte ich mit Birtes großer Schwester eine Veranstaltung in Berlin besuchen, zwei Tage vorher wurde sie jedoch krank und hatte noch am Abend vor der Show recht hohes Fieber, sodass es aussah, als könnte sie nicht mitkommen. Damit wollte ich mich nicht abfinden und betete vor dem Einschlafen noch einmal für sie um Genesung. Am nächsten Morgen schrieb mir ihre Mutter, das Fieber wäre verschwunden und sie fühle sich fit genug um mitzukommen. Damals vor zwei Monaten nahm ich mir vor, nie wieder daran zu zweifeln, dass Gott Gebete hört.

Und während mir das alles durch den Kopf geht, weiß ich auf einmal, was ich Birte antworten kann. „Wir wissen nicht, wie Gott handelt. Aber du kannst ihn auf jeden Fall darum bitten.“ Sie denkt kurz nach und schüttelt dann den Kopf: „Nein, ich weiß kein Gedicht dafür.“ „Du brauchst kein Gedicht. Du kannst mit Gott mit deinen eigenen Worten reden, ganz normal, wie mit deinen Freunden oder deinen Eltern.“ Birte sieht mich skeptisch an. Dass es Gebete gibt, die nicht wie Kindergebete in Reimform sind, überfordert sie. Deshalb sage ich: „Du kannst einfach sagen: Lieber Gott, ich möchte bitte, dass Corona aufhört und ich wieder in den Kindergarten gehen kann. Und Gott entscheidet dann selber, ob er dein Gebet erhört oder nicht.“

Wie gut, dass wir kein Gedicht brauchen, um mit Gott zu sprechen. Wie gut, dass wir ihn um alles bitten können. Ich wünsche uns den Glauben, dass Gott alles machen kann. Aber auch Akzeptanz, wenn er anders handelt, als wir es uns wünschen. Vertrauen darauf, dass er uns sieht und uns nicht mehr zumutet, als wir ertragen können. Und manchmal ein Kind, dass seine Gedanken einfach ausspricht und so den Staub von unserem festgefahrenen Menschen-Gott-Welt-Bild schüttelt.

Amen.

BAK Gottesdienst zu Misericordias Domini

Ein bunter Gottesdienst mit Menschen vom BAK. Wie sollte es anders sein geht es um Barrieren, um Freiheit und um Gerechtigkeit. Neben vielen verschiedenen Stimmen und Stimmungen gibt es am Ende auf alle Fälle ein fulminantes Finale.

Mit dabei waren Martina, in Vertretung Marion, Anja, Klaus-Dieter, Jana. Johannes, Sara, Raphael, Soohyeong und Markus.

Hoffnungsvoll in den Abend

Liebe Gemeinde, liebe Freundinnen und Freunde der ESG,

was hat der 14. Juli 1789 mit Gott zu tun?

Bestimmt könnte man da so einiges finden, ich möchte aber auf etwas hinaus, an was sicher die wenigsten von euch gerade gedacht haben. An diesem Tag, dem 14. Juli, fand in Paris der Sturm auf die Bastille statt – soweit klar. Und am selben Tag, genau 197 Jahre später, wurde in einer weiteren (mehr oder weniger) europäischen Metropole, nämlich London, Dan Smith geboren. Dieser ist der Sänger der britischen Indie-Rock-Band Bastille.

2016 veröffentlichte die Band ihr 2. Album, Wild World, aus dem ich euch heute ein Lied zeigen möchte:

Neulich saß ich mit meinem Freund im Auto, wir hörten das Album, bis der Song „The Anchor“ gespielt wurde. Beide lauschten wir etwas der Musik, bis ich zu meinem Freund sagte: „Man könnte meinen der singt von Gott.“ Witzigerweise habe ich das Lied vorher noch nie so wahrgenommen – ich dachte immer, er singt von einem guten Freund. Lauscht man aber genauer, dann ist, finde ich, die Message ziemlich klar. Ich finde es faszinierend, was Kunst für Ausdrucksmöglichkeiten und Worte finden kann, um Gott darzustellen.

Jetzt will ich aber weiter keine großen Worte machen, sondern euch einfach dieses Lied mit auf den Weg geben. Hörtes euch an und bildet euch eure eigene Meinung

Eure Lea

“The Anchor”, Bastille

Lyrics:
Let those fools be loud
Let alarms ring out
‘Cause you cut through all the noise
Let the days be dark
Let me hate my work
‘Cause you cut through all the noise

Bring me some hope
By wandering into my mind
Something to hold onto
Morning, noon, day, or night

You were the light that is blinding me
You’re the anchor that I tie to my brain
‘Cause when it feels when I’m lost at sea
You’re the song that I sing again and again
All the time, all the time
I think of you all the time

Let the parties end when we lose our friends
‘Cause you cut through all the noise
Let the years roll on ’till the static comes
‘Cause you cut through all the noise

Bring me some hope
By wandering into my mind
Something to hold onto
Morning, noon day, or night

You were the light that is blinding me
You’re the anchor that I tie to my brain
‘Cause when it feels when I’m lost at sea
You’re the song that I sing again and again
All the time, all the time
I think of you all the time
All the time, all the time
I think of you all the time

Bring me some hope
By wandering into my mind
Something to hold onto
Morning, or day, or night

You were the light that is blinding me
You’re the anchor that I tie to my brain
‘Cause when it feels when I’m lost at sea
You’re the song that I sing again and again
All the time, all the time
I think of you all the time
All the time, all the time
I think of you all the time


lyrics:  https://www.songtexte.com/songtext/bastille/the-anchor-3b0838e0.html

Bild: Pflastermosaik in Freiburg unter einem Kruzifix an St, Martin am Rathausplatz, https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Mosaik_Glaube,_Liebe,_Hoffnung.jpg

Fehlt da was? und ein Blick über den Tellerrand

Vermisst ihr die Andacht heute?

Wir treffen uns heute online auf Discord zum Begrüßungsabend in etwas anderer Form. Genaueres hat Anna-Lena hier  geschrieben. Schaut gerne spontan noch rein, wir freuen uns über jedes neue – und alte – Gesicht.

Euer Jakob und das Vorbereitungsteam des Begrüßungsabends

 

Wenn ihr dennoch nicht auf euren Sonntäglichen ESG-Gottesdienst verzichten wollt, dann empfehle ich einen kurzen Blick nach Dresden:

Schritt für Schritt.

Hallo ihr Lieben,

schön dass ihr da seid und euch die Zeit nehmt, meine Andacht zu lesen. Und da bin ich auch schon gleich beim Thema: Zeit.

Es ist vielleicht einen oder zwei Monate her, dass ich mal wieder „Momo“ von Michael Ende gelesen habe. Eine Person, die es mir in der Geschichte sehr angetan hat, ist Beppo Straßenkehrer. Er lässt sich Zeit, bei dem, was er macht, ist zufrieden mit dem, was er hat und hat Freude daran. Wer so lebt, muss ja glücklich sein. Und seine Lebensphilosophie klingt so einfach. Im Buch hat er sie Momo einmal folgendermaßen erklärt:

Der alte Straßenkehrer Beppo verrät seiner Freundin Momo sein Geheimnis. Es ist so: Manchmal hat man eine lange Straße vor sich. Man denkt, die ist so schrecklich lang; das kann man niemals schaffen, denkt man. Und dann fängt man an, sich zu eilen. Und man eilt sich immer mehr. Jedesmal, wenn man aufblickt, sieht man, dass es gar nicht weniger wird, was noch vor einem liegt. Und man strengt sich noch mehr an, man kriegt es mit der Angst, und zum Schluss ist man ganz außer Puste und kann nicht mehr. Und die Straße liegt immer noch vor einem. So darf man es nicht machen. Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muss nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten. Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein. Auf einmal merkt man, dass man Schritt für Schritt die ganze Straße gemacht hat. Man hat gar nicht gemerkt wie, und man ist nicht außer Puste. Das ist wichtig.


Michael Ende – Momo

Die Situation, die Beppo da beschreibt, kenne ich aus aktuellem Anlass nur zu gut. Vermutlich kennt ihr auch das Gefühl, wenn man wegfährt und Personen, die man gernhat, längere Zeit nicht sehen kann. Naja, momentan muss man noch nicht einmal wegfahren, um das Gefühl zu kennen. Durch die noch geltenden Ausgangsbeschränkungen vermissen wohl so gut wie alle gerade Kontakt zu Freunden, Familie etc.. So bin ich also momentan bei meinen Eltern zuhause, vermisse meinen Freund und merke, dass zwei Wochen echt lang sein können. Am Anfang war der Gedanke groß: Oha, zwei Wochen sind ja so lang! Aber dann habe ich versucht, die Tage bei meiner Familie zu genießen und mich darauf zu fokussieren, wie das am Besten klappen könnte. Genauso, wie Beppo es Momo beschreibt. Das Wetter war schön, also waren wir viel im Garten am Arbeiten, ich bin spazieren gegangen (herrlich, so durch die Natur zu laufen, kaum jemandem zu begegnen und die Natur aufblühen zu sehen – und das, ohne kilometerweit fahren zu müssen wie in der Stadt, sondern es direkt vor der Haustür zu haben), habe Kuchen gebacken und sogar regelmäßig an online-Aufgaben für die Uni gearbeitet. Schritt für Schritt, oder Tag für Tag ist also mehr oder weniger bewusst mein Motto geworden. Klar, das Gefühl des Vermissens ist nie ganz verschwunden, aber durch die vielen kleinen schönen Momente machte es Freude und die erste Woche war bald schon vorüber.

Wenn ihr momentan auch langsam am Verzweifeln seid, weil euch langsam aber sicher die Decke auf den Kopf fällt, weil ihr Hobbies, Familie, Freunde vermisst, weil ihr gern mal wieder einen Einkaufsbummel machen würdet, dann denkt an Beppo. Was mache ich heute? Die Frage kann man genervt stellen im Sinne von: Noch ein Tag vor mir – was soll ich damit nur anfangen? Oder man stellt sie neugierig, mit Vorfreude: Was kann ich heute machen, um einen tollen Tag zu erleben?

Ja, ich gebe zu, nach fast vier Wochen Ausgangsbeschränkung wird es vielleicht für den einen oder die andere schwierig, sich immer wieder etwas Neues zu überlegen. Die Wohnung ist so sauber wie nie und Wäsche waschen kann man auch nicht jeden Tag machen. Aber zumindest Kochen, auch mit frischen Zutaten, ein Film- oder ein Spieleabende sind wohl Sachen, die man lange machen kann, bevor sie langweilig werden. Oder wie wäre es, mal die Kamera auszupacken und seine Wohnung oder die eigene Straße aus einer ganz anderen Perspektive zu betrachten? Wenn euch noch andere Sachen einfallen, die ihr gern macht, Schritt für Schritt – Tag für Tag, schreibt sie doch als Kommentar unter den Text. Möglicherweise gebt ihr jemand anderem einen neuen Impuls für einen neuen Schritt und verbreitet so ein wenig Freude.

Wie ihr merkt, kommt es nicht unbedingt darauf an, was man macht; sondern vielmehr das wie ist wichtig. An dieser Stelle möchte ich noch ein weiteres Zitat von Michael Ende einbringen, in dem er ebenjenen Sachverhalt – meiner Meinung nach sehr poetisch – beschreibt:

Dieses Geheimnis ist die Zeit. Es gibt Kalender und Uhren, um sie zu messen, aber das will wenig besagen, denn jeder weiß, dass einem eine einzige Stunde wie eine Ewigkeit vorkommen kann, mitunter kann sie aber auch wie ein Augenblick vergehen – je nachdem, was man in dieser Stunde erlebt. Denn Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen


Michael Ende – Momo

ie beiden Zitate hängen so dicht zusammen. Blickt man sorgen- oder leidvoll nach vorn und sieht nur den langen Weg, der vor einem liegt – sei es die Hausarbeit, die Ausgangsbeschränkung oder der Hausputz, der mal wieder ansteht – wird es schwer, auch den kleinen Fortschritt zusehen. Die Minuten fühlen sich an wie Stunden und es geht nicht voran. Lässt man jedoch die lange Straße vor sich außer Acht und denkt nur an das, was als nächstes kommt – die Seite/ das Kapitel, das man schreibt, jeder neue Tag, der gefüllt wird mit Erlebnissen oder das einzelne zu putzende Zimmer – kommt es vielleicht dazu, dass man Freude hat beim Tun. Und dann vergeht die Zeit wie im Flug. „Denn Zeit ist Leben. Und Leben wohnt im Herzen.“ Ich wünsche euch, dass ihr aus vollem Herzen lebt und in schweren Zeiten jemanden habt, der euch an Beppos Geheimnis erinnert.

Begrüßungsabend

„Ein jegliches hat seine Zeit, und alles Vorhaben unter dem Himmel hat seine Stunde“. So steht es in Prediger 3,1 und das gilt natürlich auch für das Ende der Semesterferien. Die Uni hat wieder begonnen, wenn auch anders als gewohnt und auch die meisten unserer allwöchentlichen Formate sind bereits angelaufen – eben nur digital.

Es wird also Zeit, das Semester in der ESG offiziell zu beginnen. Das wollen wir am Sonntag, dem 19.04.2020 an unserer digitalen Bar auf discord machen. Dorthin gelangt ihr mit folgendem Link: https://discord.gg/fQbxhWF Bei Fragen und Problemen meldet euch gern bei (internet[bei]esg-leipzig.de). Beginn soll zur gewohnten Gottesdienstzeit 19 Uhr sein. Auf euch wartet ein bunter Abend mit dem ein oder anderen Programmpunkt.

An dieser Stelle seien vor allem die V’s ganz herzlich eingeladen. Lasst euch überraschen und stellt dieses Semester eure Planungsfähigkeit und euren Einfallsreichtum unter Beweis. Wir freuen uns, Zeit in der (digitalen und realen) ESG mit euch zu verbringen und euch besser kennenzulernen.

Wir werden ab etwa 18 Uhr bereits online sein, kommt dazu und macht euch mit unserem neuen digitalen Zuhause vertraut!